Soziologische Aspekte
Architektursoziologische und gesellschaftstheoretische Betrachtungen schweizerischer Systembauten der 1940er bis 1970er Jahre
Für die in der Schweiz aktuell diskutierte denkmalpflegerische Einordnung und Bewertung von Systembauten der Nachkriegszeit bilden architekturgeschichtliche, konstruktive und energierelevante Aspekte eine unverzichtbare Grundlage. Das Bewusstsein für den Wert dieser Bauten im öffentlichen Diskurs und in der Architektur selbst wird zunehmend jedoch auch über deren sozialgeschichtliche Bedeutung und Dokumentcharakter für eine spezifische gesellschaftliche Ordnung erschlossen.
Die Untersuchungen im Rahmen des soziologischen Arbeitspakets widmen sich im Kern der Frage nach dem Zusammenhang von baulichen sowie sozialen und kulturellen Strukturen (vgl. Delitz 2010, Makropoulos 2003). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich die materiellen Gefüge der Bauten sowie deren Planung und Besprechung als Brennglas verstehen lassen, durch das sich ein bestimmtes, für diese Zeit vorherrschendes visionäres, auch defizitäres oder zu optimierendes Menschenbild, Annahmen über eine «gute Gesellschaft» oder gar Utopien einer solchen studieren lassen. So sieht Prigge (2002) die industrielle Lebensweise der fordistischen Massengesellschaft förmlich in die moderne Architektur eingeschrieben und für ihre Bewohnerinnen und Bewohner in alltäglicher Nutzung erfahrbar. In diesem Sinne erlangt Architektur eine vergesellschaftende, d.h. eine Gesellschaft bildende Wirkung (vgl. Löw 2012: 104).
Auf der Grundlage exemplarischer Analysen Schweizer Systembauten soll in einem ersten Schritt der Blick auf die Wechselwirkungen zwischen industriell-technischer Normierung und einer darin angelegten gesellschaftlich breitenwirksamen Standardisierung von Lebensführungen gerichtet werden (vgl. Gerhard/Link 1999). In einem zweiten Schritt sollen diese Entwicklungen vor dem Hintergrund eines für die Nachkriegszeit beobachtbaren Individualisierungsschubs und einsetzenden sozialen Wertewandels, der Autonomie und Selbstverwirklichung ins Zentrum individuellen Handelns rückt (vgl. Beck 1986), ins Verhältnis gesetzt werden.
Die Untersuchungen folgen dabei einem wissenssoziologischen Ansatz, der davon ausgeht, dass Wissen, Denken und entsprechende Relevanz- und Deutungsstrukturen durch den sozialen und raumzeitlichen Kontext geprägt sind und gleichzeitig auf diesen zurückwirken (vgl. Mannheim 1969). Als methodischer Herangehensweise hierzu wird sich der wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) als eine historisch orientierte Gesellschaftsanalyse bedient. Im Kern geht es dieser um «die Erforschung der Prozesse der sozialen Konstruktion von Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. kollektiven Akteurinnen und Akteuren sowie um die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse» (Keller 2011: 12). Ergänzt wird dieser Ansatz um bewährte text- und bildanalytische Verfahren (vgl. Betscher 2014, Breckner 2012, Corbin/Strauss 1990).
Grundlage der empirischen Analysen bilden die im Projektzusammenhang gesammelten Materialien. Neben Entwürfen und Plänen, Visualisierungen, begleitenden Schriften und Dokumentationen steht hier der Diskurs der Fachmedien als Zugang zu den Erfahrungsräumen der Architektinnen und Architekten sowie deren Kritikerinnen und Kritikern im Fokus. Hierzu zählen beispielhaft die Berichterstattung der Schweizerische Bauzeitung und der werk, bauen + wohnen. Diese Periodika sind für eine detaillierte Sichtung und Analyse im besonderen Masse geeignet, da sie den herausgegriffenen Zeitraum der 1940er bis 1970er Jahre kontinuierlich abdecken. Hiervon ausgehend werden weitere Materialien ergänzend sowie kontrastierend herangeführt, etwa die Kommentierungen durch Leserinnen und Leser der Schweizer Tagespresse.
Diese Forschungsarbeiten werden in Teilen im Rahmen von Lehrveranstaltungen durchgeführt, u.a. von Architekturstudierenden am Departement Architektur der ETH Zürich unter der Leitung von Dipl.-Ing. Elisabeth Hinz (Architektin bei Christina Nater und Simon Kretz Architekten, Zürich) und Dr. Tino Schlinzig (Institut für Soziologie, Technische Universität Dresden). Die Ergebnisse sollen in einem öffentlichen Workshop vorgestellt und diskutiert werden. Die daran anschliessende Aufbereitung ist als Beitrag im Spezialinventar des Gesamtprojektzusammenhangs sowie als Fachartikel geplant.
Tino Schlinzig
Für die in der Schweiz aktuell diskutierte denkmalpflegerische Einordnung und Bewertung von Systembauten der Nachkriegszeit bilden architekturgeschichtliche, konstruktive und energierelevante Aspekte eine unverzichtbare Grundlage. Das Bewusstsein für den Wert dieser Bauten im öffentlichen Diskurs und in der Architektur selbst wird zunehmend jedoch auch über deren sozialgeschichtliche Bedeutung und Dokumentcharakter für eine spezifische gesellschaftliche Ordnung erschlossen.
Die Untersuchungen im Rahmen des soziologischen Arbeitspakets widmen sich im Kern der Frage nach dem Zusammenhang von baulichen sowie sozialen und kulturellen Strukturen (vgl. Delitz 2010, Makropoulos 2003). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich die materiellen Gefüge der Bauten sowie deren Planung und Besprechung als Brennglas verstehen lassen, durch das sich ein bestimmtes, für diese Zeit vorherrschendes visionäres, auch defizitäres oder zu optimierendes Menschenbild, Annahmen über eine «gute Gesellschaft» oder gar Utopien einer solchen studieren lassen. So sieht Prigge (2002) die industrielle Lebensweise der fordistischen Massengesellschaft förmlich in die moderne Architektur eingeschrieben und für ihre Bewohnerinnen und Bewohner in alltäglicher Nutzung erfahrbar. In diesem Sinne erlangt Architektur eine vergesellschaftende, d.h. eine Gesellschaft bildende Wirkung (vgl. Löw 2012: 104).
Auf der Grundlage exemplarischer Analysen Schweizer Systembauten soll in einem ersten Schritt der Blick auf die Wechselwirkungen zwischen industriell-technischer Normierung und einer darin angelegten gesellschaftlich breitenwirksamen Standardisierung von Lebensführungen gerichtet werden (vgl. Gerhard/Link 1999). In einem zweiten Schritt sollen diese Entwicklungen vor dem Hintergrund eines für die Nachkriegszeit beobachtbaren Individualisierungsschubs und einsetzenden sozialen Wertewandels, der Autonomie und Selbstverwirklichung ins Zentrum individuellen Handelns rückt (vgl. Beck 1986), ins Verhältnis gesetzt werden.
Die Untersuchungen folgen dabei einem wissenssoziologischen Ansatz, der davon ausgeht, dass Wissen, Denken und entsprechende Relevanz- und Deutungsstrukturen durch den sozialen und raumzeitlichen Kontext geprägt sind und gleichzeitig auf diesen zurückwirken (vgl. Mannheim 1969). Als methodischer Herangehensweise hierzu wird sich der wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) als eine historisch orientierte Gesellschaftsanalyse bedient. Im Kern geht es dieser um «die Erforschung der Prozesse der sozialen Konstruktion von Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. kollektiven Akteurinnen und Akteuren sowie um die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse» (Keller 2011: 12). Ergänzt wird dieser Ansatz um bewährte text- und bildanalytische Verfahren (vgl. Betscher 2014, Breckner 2012, Corbin/Strauss 1990).
Grundlage der empirischen Analysen bilden die im Projektzusammenhang gesammelten Materialien. Neben Entwürfen und Plänen, Visualisierungen, begleitenden Schriften und Dokumentationen steht hier der Diskurs der Fachmedien als Zugang zu den Erfahrungsräumen der Architektinnen und Architekten sowie deren Kritikerinnen und Kritikern im Fokus. Hierzu zählen beispielhaft die Berichterstattung der Schweizerische Bauzeitung und der werk, bauen + wohnen. Diese Periodika sind für eine detaillierte Sichtung und Analyse im besonderen Masse geeignet, da sie den herausgegriffenen Zeitraum der 1940er bis 1970er Jahre kontinuierlich abdecken. Hiervon ausgehend werden weitere Materialien ergänzend sowie kontrastierend herangeführt, etwa die Kommentierungen durch Leserinnen und Leser der Schweizer Tagespresse.
Diese Forschungsarbeiten werden in Teilen im Rahmen von Lehrveranstaltungen durchgeführt, u.a. von Architekturstudierenden am Departement Architektur der ETH Zürich unter der Leitung von Dipl.-Ing. Elisabeth Hinz (Architektin bei Christina Nater und Simon Kretz Architekten, Zürich) und Dr. Tino Schlinzig (Institut für Soziologie, Technische Universität Dresden). Die Ergebnisse sollen in einem öffentlichen Workshop vorgestellt und diskutiert werden. Die daran anschliessende Aufbereitung ist als Beitrag im Spezialinventar des Gesamtprojektzusammenhangs sowie als Fachartikel geplant.
Tino Schlinzig
Literatur
- Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft: auf dem Weg in eine andere Moderne. 1. Aufl., Erstausg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
- Betscher, Silke (2014): Bildsprache. Möglichkeiten und Grenzen einer Visuellen Diskursanalyse. In: Eder, Franz X.; Kühschelm, Oliver; Linsboth, Christina (Hrsg.): Bilder in historischen Diskursen. Wiesbaden: Springer, S. 63-83.
- Breckner, Roswitha (2012): Bildwahrnehmung – Bildinterpretation: Segmentanalyse als methodischer Zugang zur Erschließung bildlichen Sinns. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie. 37 (2), S. 143–164, doi: 10.1007/s11614-012-0026-6.
- Corbin, Juliet; Strauss, Anselm (1990): Grounded Theory Research: Procedures, Canons and Evaluative Criteria.. In: Zeitschrift für Soziologie (ZfS). 19 (6), S. 418-427.
- Delitz, Heike (2010): Gebaute Gesellschaft. Architektur als Medium des Sozialen. Frankfurt a.M., New York: Campus.
- Gerhard, Ute; Link, Jürgen (1999): »Normativ« oder »normal«? Diskursgeschichtliches zur Sonderstellung der Industrienorm im Normalismus mit Blick auf das »Neue Bauen«. In: Prigge, Walter (Hrsg.): Ernst Neufert. Normierte Baukultur im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M., New York: Campus, S. 313-328.
- Keller, Reiner (2011): Wissenssoziologische Diskursanalyse: Grundlegung eines Forschungsprogramms. Wiesbaden: VS-Verlag.
- Löw, Martina (2012): Soziologie der Städte. 2. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
- Makropoulos, Michael (2003): Vergesellschaftung durch Architektur. Gesellschaftstheoretische Aspekte der funktionellen Stadt. In: Fischer, Joachim; Joas, Hans (Hrsg.): Kunst, Macht und Institution. Studien zur Philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Frankfurt a.M.: Campus S., 577-586.
- Mannheim, Karl (1969): Ideologie und Utopie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
- Prigge, Walter (2002): Durchdringung/Normalisierung. In: Zinsmeister, Annett (Hrsg.): Plattenbau oder Die Kunst, Utopie im Baukasten zu warten. Berlin: KEOM Hagen, S. 27-33.